Samstag, 24. Januar 2009
 
Bank des Südens: Kein Traum, sondern Wirklichkeit PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Birgit Zehetmayer   
Mittwoch, 30. Mai 2007

In seiner Ansprache zum 1. Mai 2007 erklärte Hugo Chávez den Austritt aus dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Gleichzeitig kündigte er einmal mehr die unmittelbare Geburt eines seiner Liebkinder, der Banco del Sur (Bank des Südens) an.

Dieses Projekt soll ein wesentlicher Bestandteil der angestrebten Integration des lateinamerikanischen Kontinents und der Karibik werden und nahm bereits am 22. Februar dieses Jahres konkrete Formen an, als der argentinische Präsident Néstor Kirchner zu einem Staatsbesuch in Venezuela weilte. Dass dieser gemeinsame Auftritt keineswegs eine spontane Idee „zweier Freunde“ war, hatte Kirchner anlässlich eines Staatsbesuches 2005 in Deutschland bereits angedeutet: „Es gibt ein Leben nach dem IWF und es wird ein sehr gutes Leben sein.“

Vergangenen Februar stellten die beiden Präsidenten den Beschluss zur Gründung dieser Bank und einen ersten Aktionsplan vor. Danach müssen bis Ende 2007 die definitiven Statuten der Bank vorliegen. Hauptsitz der Banco del Sur wird Caracas sein. Auch ein erstes Finanzierungsprojekt wurde präsentiert: die Errichtung einer Gaspipeline zwischen Argentinien und Bolivien zur Versorgung der Region mit venezolanischem Erdgas. Beide Staatspräsidenten bemühten sich mittlerweile durchaus erfolgreich, die Regierungen Ecuadors, Paraguays, Boliviens und Brasiliens für das Projekt zu gewinnen. Uruguay zeigt vitales Interesse, sieht sich allerdings durch den Zellulosefabrik-Grenzkonflikt mit Argentinien gehindert. Dersoll jetzt zügig beigelegt werden. Auch Chile und Peru zeigen grundsätzliche Teilnahmebereitschaft.

Annähernd zeitgleich gab der Direktor des IWF, Rodrigo de Rato, im Februar 2007 an der Columbia Business School seine Vision für Lateinamerika bekannt. Es gebe nur einen „Weg nach vorn“ für Lateinamerika und das sei der Weg, den der IWF vorgebe: Strukturanpassungen, Handelsliberalisierung und Privatisierung. Den Linksruck in Lateinamerika, namentlich in Chile, Argentinien und Bolivien, lastete er mit dem offensichtlich mangelnden Verständnis der Wähler für den großen ökonomischen Entwicklungsfortschritt an. Wenn es in Lateinamerika nach wie vor große Armut gebe, dann deswegen, weil die IWF-Vorgaben nicht konsequent genug befolgt worden seien.

Unbeeindruckt von derartigen Ratschlägen wollen die lateinamerikanischen Präsidenten am 26. Juni 2007 auf einem Gipfel in Rio de Janeiro in einer gemeinsamen Erklärung die Gründung der Banco del Sur offiziell machen. Erwartung wie Skepsis sind einigermaßen hoch, handelt es sich doch nicht um die Errichtung „einer weiteren Entwicklungsbank“, sondern um die Schaffung eines makroökonomischen Finanzsystems zur Erreichung ökonomischer Selbstständigkeit. In der Region öffentlich wie privat erwirtschaftete Finanzüberschüsse und Spareinlagen sollen in produktive Investitionen umgewandelt werden. Man will endlich am Weltmarkt über die Preise der lateinamerikanischen Rohstoffe mitbestimmen können. Es sind immer noch die Börsen von Chicago und London, welche die Preise für Aluminium, Zucker, Kaffee usw. festlegen, die nach wie vor wesentliches Fundament der lateinamerikanischen Nationalökonomien sind. Sie alle weisen einen effektiven technologischen und somit produktiven Entwicklungsrückstand auf und macht sie chronisch von der Exportwirtschaft der Rohstoffe abhängig. Man will daher einen eigenen regionalen Markt, der mit einer Art Union der Rohstoff-Produzenten, die zugleich Preis-Kontrollorgan ist, ausgestattet ist.

Zudem möchte man auf Grundlage nationaler Währungsfonds einen entsprechenden lateinamerikanischen Stabilisierungsfonds im Rahmen der Banco del Sur einrichten, der fatale Auswirkungen von feindlichen Markt-Spekulationen verhindern soll. Langfristig träumt man von einer gemeinsamen lateinamerikanischen Handelswährung nach Vorbild Europas und dessen ECU, bevor der Euro etabliert werden konnte. Gegenwärtig wird der innerkontinentale Handel in Lateinamerika hauptsächlich in US-Dollar abgewickelt, lediglich Brasilien und Argentinien einigten sich auf bilaterale Transaktionen in den entsprechenden Landeswährungen, die immerhin 15 Milliarden US-Dollar jährlich umfassen.

Schließlich, und das ist die zweite große Strategie, soll das Management der Auslandsverschuldung der lateinamerikanischen Länder auf regionalem Niveau abgewickelt werden. Dass dies keine Schimäre sondern effektive Kapazität ist, zeigt die Tatsache, dass der Einfluss des IWF am lateinamerikanischen Subkontinent dramatisch im Schwinden ist. Noch 2005 hatte der IWF 80% seiner Darlehen in Lateinamerika platziert. Kein weltweit unbemerktes Wirtschaftswunder sondern Hugo Chávez höchstpersönlich unter „kreativer“ Nutzung seiner Erdöl-Dollars stellte diese Statistik auf den Kopf, indem sich Venezuela als Kreditgeber mit vollen Händen betätigte: Argentinien erhielt 2,5 Mrd. $, Ecuador 500 Mio. $ und Bolivien 1,5 Mrd. als wirtschaftliche Stabilisierungshilfe. Venezuela hält seit November vergangenen Jahres argentinische Staatsanleihen in der Höhe von einer Mrd. $. Der von Chávez inszenierte, mit langer Hand vorbereitete Gründungsakt der Banco del Sur kam zu einem Zeitpunkt, der günstiger nicht sein konnte: Venezuela ist schuldenfrei bei IWF und Weltbank, Brasilien ist dem IWF gegenüber unabhängig, Argentinien hat sämtliche Kredite beim IWF getilgt, Ecuador schuldet der Weltbank nichts mehr. In der Folge soll nun das inner-lateinamerikanische Finanzleihwesen in Rahmen der Banco del Sur institutionalisiert werden.

Die dritte große Strategie betrifft die “soziale Agenda” Lateinamerikas. Der venezolanische Minister für Integration und Außenhandel, Gustavo Márquez Marín, sprach jüngst bei einem Wien-Besuch von der “akkumulierten Sozialverschuldung” Lateinamerikas, die je weder überwunden noch bezahlt werden könne, wenn man am überkommenen Modell des angeblich alles richten könnenden Wirtschaftswachstum festhält. Gemeint sind die Beseitigung des Analphabetismus, der Aufbau eines integrativen Gesundheitssystems, der soziale Wohnbau und schließlich die Errichtung eines Bildungssystems, das diesen Namen auch verdiene.

In der „Bank des Südens“ soll auch ein Sozialfonds eingerichtet werden, der auf Grundlage der zu deponierenden internationalen Reserven aller am Projekt beteiligten Nationalbanken funktionieren soll. Mit diesen Finanzressourcen werden zu wesentlich besseren Konditionen als bisher Renditen zu erwirtschaften sein, die direkt in die Finanzierung der sozialen Agenda fließen sollen. In Lateinamerika gibt es zudem hunderte staatliche Entwicklungsbanken, die mit großem Aufwand kleinere Industrien anhand eines Mikro-Kreditsystems finanzieren. Auch hier soll ein Synergiesystem entworfen werden, das all diese Banken zu einem Netzwerk innerhalb der „Bank des Südens“ zusammenfasst, damit große strukturelle Integrationsprojekte angegangen werden können.

All diese Perspektiven zusammengenommen, stellen natürlich „bad news“ für den IWF dar, der bereits die Freisetzung eines Teils seiner Goldreserven andenken musste, um die Verluste abzudecken, die durch die lateinamerikanischen Umschuldungsaktivitäten entstanden sind. In den USA scheint man vorerst mit angespannter Abwartung zu reagieren und sich auf die vielfach unter Beweis gestellten geheimdienstlichen Fähigkeiten der Unterminierung jeglicher Unabhängigkeitsbestrebungen Lateinamerikas zu verlassen, seien dies nun verdeckte Militäroperationen oder psychologische Kriegsführung. Zudem ist noch nicht abzusehen, wie lange die große Freude über den Geldsegen aus Venezuela und das eigene Heraustreten aus dem langen Schatten Washingtons ausreicht, wenn – was immerhin denkbar ist – zukünftig bestimmte politische Zugeständnisse an die Kreditvergabe geknüpft werden und man sich in neuen Schatten wieder findet. Chávez’ Venezuela ist wenig zurückhaltend mit seinen neo-sozialistischen Kontinentalvisionen.

Eine derartige vage Befürchtung mag auch einer der Gründe sein, weswegen Brasilien sich mit seiner Begeisterung für die Banco del Sur merkwürdig zurückhaltend zeigt. Man ist grundsätzlich bereit, den Geist der kontinentalen Integration zu unterstützen, stellt allerdings als wirtschaftlich stärkste Macht der Region so manche Bedingung: Sitz der Bank solle demnach nicht Caracas, sondern ein kleineres Mitgliedsland sein, zudem sei eine Bindung der Bank an den MERCOSUR vorzunehmen und die Entscheidungsstrukturen hätten sich an einer demokratischen Gleichberechtigung der Mitglieder im Sinne des Prinzips „ein Land – eine Stimme“ und keineswegs dem Muster der Weltbank oder des IWF folgend, proportional nach Größe des Landes bzw. Höhe der Finanzeinlage zu richten. Ein weiterer Unterschied zum Weltbanksystem wäre das Mandat, internationale Menschenrechtsabkommen, einschließlich der kulturellen und sozialen Rechte, anwenden zu können. Die Bank und deren Renditen sollen zudem der Besteuerung nach dem Modell der Tobin-Tax unterliegen.

Bezüglich der unterschiedlichen Entwicklungsniveaus der lateinamerikanischen Ökonomien ist nach Muster der Europäischen Kommission ein Integrationsfonds geplant, der für jene Länder mit höherem ökonomischen Entwicklungsbedarf beim industriellen Aufbau zur Verfügung bereit stehen soll.

Zusammengenommen ergeben sich ausgesprochen viele Anforderungen an diese Bank des Südens, die letzten Endes ein gesamtlateinamerikanisches Entwicklungskonzept darstellt. Die Risiken, dass dieses höchst ehrgeizige Projekt scheitern könnte, liegen vermutlich in der Gefahr einer politischen Ideologisierung und inwiefern es gelingen kann, die Integration des Kontinents auf demokratische, soziale und ökonomische Weise voranzutreiben.


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